Das Tuddental

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Naturerlebnispfad

Die dummen Dutten

Vor vielen hundert Jahren –so erzählt die Sage – lebte im Wiehen- und Wesergebirge das Riesengeschlecht der Dutten. Es war ein so großes und starkes Volk, dass sich die kleinen Menschenkinder, die mit ihm zusammenleben mussten, lange Zeit vor ihm fürchteten.

Aber die ganz Schlauen unter den Menschenkindern fanden bald heraus, dass körperliche Kraft, Größe und Stärke nicht alles bedeuten. Wie schon gesagt: Die Dutten hatten wohl einen massigen Körper, aber auf ihm saß nur ein kleiner Kopf mit einem noch kleineren Gehirn. Was nützten die Hände so groß wie Wagenräder und ein Kreuz, das so breit war wie ein kleiner Ackerwagen, wenn sie damit nichts anzufangen wussten?

Nach all diesen Erkenntnissen und Erfahrungen mit den Dutten schwand bei den kleinen Menschenkindern nach und nach die Angst vor ihnen.

Die Dutten lebten oben im Berg in tiefen Höhlen, die schon vorhanden waren und die sie sich schlecht und recht einrichteten. Eine dieser Höhlen befand sich unter dem Nonnenstein, unweit von Rödinghausen. Oberhalb von Ahlsen, unter der Reineburg, war die zweite Höhle, die wohl die bese sein sollte. Denn zum gemeinsamen Treffen aller Dutten fanden sie sich mit großem Spektakel meistens dort ein. Eine dritte Höhle lag unterm Jakobsberg bei Porta Westfalica.

Wenn die kleinen Menschenkinder an eisigen Winterabenden in ihren Lehmkaten zusammensaßen, erzählten sie sich die wundersamsten Geschichten von ihren riesigen Mitbewohnern. Dabei lachten und gröhlten sie, schlugen sich gegenseitig auf die Schenkel, und alle waren sich darüber einig, dass man diese Monster nur noch als dumme Dutten bezeichnen konnte. Beim Erzählen solcher Geschichten tat sich besonders Balthasar von der Höchte hervor. Nun muss dazu gesagt werden, dass der noch den nächsten Kontakt zu den Duutten hatte. Seine alte Lehmkate stand unterhalb des Wiehen auf der Südseite nahe des Duttentals.

Eines schönen Morgens beobachtete Balthasar, wie ein Duttenkind eben durch dieses schmale Tal geradewegs nach Hülste wollte. Weil aber auch dieses Duttenkind so schrecklich breite Schultern hatte, saß es plötzlich fest. Es ging weder vorwärts noch zurück. Als Balthasar das Malheur sah, rief er ihm zu: „Dreije di ümme“, was so viel heißen sollte, dass es seitlich durch das schmale Tals gehen müsste. Aber was tat der Döskopp? Er drehte sich unter großer Anstrengung zweimal um und stand nun mit dem Hinterteil in Richtung Hülste. Da bekam das Duttenkind große Angst und schrie. Es hörte sich so furchtbar an, dass Balthasar schnell weglief. Aber beim Laufen sah er noch, wie zwei unheimlich starke Männerarme dieses dumme Kind da herauszogen.

Aber nicht nur Balthasar konnte so schöne Geschichten von den dummen Dutten erzaählen. Auch Kaspar Nölig wurde von den Menschen in ihren Katen ab und zu aufgefordert. Sein Nachnale war nicht der richtige; den wusste keiner mehr. Aber weil er seine Geschichten in nöligem Ton vortrug, hatte man ihm diesen Spitznamen gegeben.

Eines Tages, so erzählte Kaspar, war ein Dutte zu ihm gekommen, um nach dem Weg zum großen, salzigen Wasser zu fragen. Kaspar war ganz baff gewesen: Woher wussten die dummen Dutten von großen, salzigen Meer? Er hatte dann listig nachgefragt, was sie, die Dutten, denn da wollten?

Der hatte geantwortet, dass sie das salzige Wasser zum Kochen schließlich direkt von dort holen könnten, um das hiesige teure Salz zu sparen.

So hatte Kaspar ihm denn genau den Weg zum salzigen Wasser erklärt.

An einem schönen Sommermorgen zogen die Dutten los, mit Eimern so groß wie Tanks. Mit Riesenschritten rannten sie auf die Nordseite des Wiehengebirges hinunter, über Preußisch Oldendorf in Richtung Levern. Bis dahin hatten sie schon großen Flurschaden angerichtet.

Kurz vor Einbruch der Dunkelheit sahen sie plötzlich ein großes Wasser vor sich. Sollte das vielleicht schon das salzige Wasser sein? Gleichzeitig steckten nun alle ihren Finger in das Wasser, um zu probieren. Es war nicht salzig! Und weil alle auf einmal in das vermeintliche Meer stippten, kam ihnen auf einmal ein große Flutwelle entgegen, die das ganze umliegende Land überspülte. So viel Wasser hatten die Dutten noch nie gesehen. Fast wären sie alle ertrunken, und so liefen sie in panischer Angst zurück, um sich in ihren Höhlen zu verkriechen.

Für Kaspar Nölig gab es noch ein böses Nachspiel: Am nächsten Morgen kam einer der Dutten zu ihm aufs Feld, packte mit einer Hand um seine Taille und schüttelte ihn so heftig, dass er meinte, der Kopf würde ihm von den Schultern gerissen. Es dauerte lange, bis Kaspar den Dutten beruhigt hatte. Später hat Kaspar ihm noch einmal eine genaue Lageskizze gemacht und ihm erklärt, dass das Wasser, das sie da gesehen hatten, nicht das salzige Meer, sondern der Dümmer gewesen sei.

„Warum dümmer?“ wollte der dumme Dutte wissen. Kaspar hatte da schon einiges auf den Lippen, aber er verkniff sich lieber eine Erklärung.

Wer nun meint, die Dutten hätten nach diesem Fiasko aufgegeben, der irrt gewaltig. Sie kamen alle zusammen, um zu beratschlagen. Die Nonnensteiner kamen und die von der Porta. Sie trafen sich wie immer in der Reinburghöhle. Viele Dutten waren unterwegs, und das Wiehengebirge erzitterte wie bei einem Erdbeben. Nach dem mehrtägigen Palaver waren sich alle einig geworden: Dieses Hindernis da in der Ebene, das sich Dümmer nannte, musste zugeschüttet werden!

So zogen sie wieder los, dieses Mal mit großen Säcken, gefüllt mit Erde und Steinen. Wieder ging es über Preußisch Oldendorf geradewegs auf Levern zu. Es war ein heißer, schwüler Tag, und die Dutten ächzten unter ihrer Last. Plötzlich, wie von Geisterhand, zerplatzten kurz vor dem Dümmer die Säcke und ein riesiger Stein- und Erdhaufen entstand. Es sind die heutigen Stemmer Berge.

Das Kräuterweiblein Ilsabein Schiechen war das einzige weibliche Wesen, das in der Männerrunde der kleinen Menschenkinder geduldet wurde. Nicht nur geduldet, sondern geachtet, weil sie für mancherlei Gebrechen die richtigen Kräuter parat hatte. Sie konnte auch vieles andere, wie Handauflegen und Geisterbeschwörung.

Weil sie ihre Kräuter hauptsächlich im Wiehen- und Wesergebirge sammelte, kam sie auch schon mal mit den Dutten zusammen. Die kannten sie und ihre Heilkunst. So hatte Ilsabein mal einem Dutten einen Zahn ausgezogen. Der war zwar schon recht wackelig gewesen, aber Ilsabein musste sich daran hängen, um ihn aus dem großen Maul heraus zu befördern. Der Dutte hatte geschrien wie am Spieß, sie aber nachher, als er keine Schmerzen mehr hatte, auf den Arm genommen und sie so gedrückt, dass sie glaubte, alle Rippen wären zerbrochen.

Eines Tages hatte Ilsabein beobachtet, wie ein Dutte mt großem Schwung ein Messer in Richtung Portahöhle schleuderte. Das sah unheimlich aus. Ilsabein hatte den Dutten gefragt, warum er das machte. Der hatte ihr dann geantwortet, dass die Dutten nur ein einziges Messer für drei Höhlen besaßen. Bei Bedarf würden sie sich das Messer einfach zuwerfen. Das hat Ilsabein mächtig beeindruckt.

Es wurde Winter, und die Erde im Wiehen war gefroren. Da sah Ilsabein eines Tages, wie ein Dutte eine Buche aus der Erde zog, zur Höhle schleppte und sie auf die Feuerstelle warf. Da das Holz aber ziemlich nass war, gab es in der Höhle einen furchtbaren Qualm. Da kamen die Dutten alle herausgerannt, husteten und spuckten, und aus den Augen stürzten Bäche von Tränen. Bei der Gelegenheit sah Ilsabein zum ersten Mal in ihrem Leben die Duttenfrauen. Eine Schönheit war sie selbst nicht, das wusste Ilsabein, aber was sie da zu sehen bekam, verletzte ihren Schönheitssinn über alle Maßen. Während unter den Duttenmännern einige waren, die noch respektabel aussahen, waren die Duttenfrauen alle ungepflegt, ungelenk – mit einem Wort: weibliche Monster. Diese Geschichte musste sie dann abends unbedingt in der Männerrunde erzählen.

Allmählich wurde den Dutten rund ums Wiehengebirge der Lebensraum zu eng. Immer mehr Menschenkinder siedelten sich hier an.

Da beschlossen sie auszuwandern. Nur – wohin sollten sie, wo war noch genügend Platz für sie? So kamen sie auf die glorreiche Idee, einfach schnurstracks in den Himmel zu gehen. Alle Dutten versammelten sich eines frühen Morgens und wanderten Richtung Weser. Als sie da angekommen waren, standen sie am Ufer und blickten in das klare Wasser, in dem sich ihre Gesichter widerspiegelten. Das musste der Himmel sein, meinten sie und marschierten ohne Furcht in die Fluten, in denen sie alle miteinander ertranken.

Ob sie im Himmel angekommen sind, weiß die Sage nicht zu bekunden. Als die kleinen Menschenkinder davon hörten, waren sie ein wenig traurig. Denn eigentlich war man doch ganz gut mit den Dutten ausgekommen.

Quelle:

Heimische Autoren stellen vor: Gedichte und Geschichten rund um’s Wiehengebirge
Herausgeber: Volkshochschule Altkreis Lübbecke, 1997

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